Aus der Einleitung:
Diskriminierung schadet der Gesundheit Ihrer Mitmenschen und dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft! – derartige Warnhinweise sollten sichtbar sein in Behörden, Presseredaktionen, sozialen Netzwerken, in Polizeidirektionen, in Wohnungsgenossenschaften und Arbeitsämtern, in (Hoch-)Schulen, Asylunterkünften und NGOs, Kirchen, Parteibüros, Parlamenten und Ministerien, in Kindergärten und Pflegeeinrichtungen, an Werkbänken, Fließbändern, in Führungsetagen und Büros, im Nah- und Fernverkehr, in Jugendclubs, Discos und Kneipen und in Senior_inneneinrichtungen – kurz: überall, denn „Diskriminierung“ ist vielschichtig und in unserer Gesellschaft allgegenwärtig.
Diskriminierende Verhaltensweisen werden häufig fälschlich nur auf die politischen Motive von Menschen reduziert, die rechtsextremen Ideologien anhängen. Diese sprichwörtliche „Spitze des Eisbergs“ bildet jedoch das Themenfeld Diskriminierung nicht hinreichend ab. Für umfassende Betrachtungen ist es unerlässlich, dass wir uns selbstkritisch mit eigenen Ungleichbehandlungen und Abwertungen, mit Privilegien und sozialen Asymmetrien innerhalb unserer Gesellschaft beschäftigen. Die Externalisierung auf „Rassist_innen“ oder „Nazis“ lenkt davon ab, dass Diskriminierungsformen wie beispielsweise Rassismus, Sexismus und Antisemitismus Teil unserer Gesellschaft, unserer Geschichte und unserer (Alltags-)Kultur sind. Dies steht im Widerspruch zu den Ansprüchen, Normen und Werten der Demokratie: Denn der Schutz von Minderheiten bzw. von gesellschaftlich schwächer gestellten Gruppen ist ein wesentliches Prinzip demokratischer Gesellschaften. Der Schutzauftrag des Staates vor Diskriminierung ist im Deutschen Grundgesetz festgeschrieben:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse [sic], seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(Art 3 Abs. 3 des Deutschen Grundgesetz) Was Diskriminierung ist und welche Schutzverpflichtungen Staat und Gesellschaft zukommen, ist Gegenstand gesellschaftspolitischer Verhandlungsprozesse. Meist ist es die Initiative und jahrelange Arbeit von zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen, Selbstorganisationen oder Einzelpersonen, welche die Politik und Justiz auf den fehlenden Schutz oder auf die Ungleichbehandlung von gesellschaftlichen Gruppen aufmerksam machen und gleiche Rechte einfordern. So urteilte beispielweise das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im November 2017 infolge der Klage einer intersexuellen Person, dass das binäre Geschlechterverständnis im Amtswesen, welches in Geburtsurkunden bisher nur weiblich und männlich bzw. seit 2013 das Nicht-Ausfüllen der Geschlechtsangabe kannte, in verfassungswidriger Weise andere Geschlechtsidentitäten diskriminiere. Das Gericht folgt damit der Forderung zahlreicher Selbstorganisationen und einer Empfehlung des Deutschen Ethikrats von 2012. Über Jahrzehnte war diese institutionelle Diskriminierung von intersexuellen Menschen Teil staatlicher Praxis. Weiterhin hatte der Bundestag im Sommer 2017 mit der sogenannten „Ehe für alle“ einen entscheidenden – wenn auch im internationalen Vergleich sehr späten – Schritt zur Gleichbehandlungen gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften getan. Weitere Beispiele für derartige Fortschritte im gesetzlichen Diskriminierungsschutz in den letzten Jahren ließen sich ergänzen. Doch sind durch den Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (seit 2006) längst nicht alle Merkmale, auf Grund derer Diskriminierungserfahrungen gemacht werden, und keineswegs alle Bereiche, in denen Diskriminierung geschieht, abgedeckt. Eine rechtliche Erweiterung des Anwendungsfeldes sowie der schützenswerten Merkmale ist überfällig. Hoher Bedarf besteht an Aufklärung und Kommunikation über Diskriminierung in Bezug auf alle gesellschaftlich schwächer gestellten Gruppen und die entsprechenden Antidiskriminierungsmaßnahmen. Dies gilt nicht zuletzt, weil rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen, Netzwerke und Parteien sich aus dem Unbehagen mit gesellschaftspolitischem Fortschritt nähren. Sie politisieren Ambivalenzen und deuten sie rückwärtsgewandt und häufig völkisch, um sich als angebliche Bewahrer_innen von Gesellschafts-, Rollen-, Familien- und Weltbildern zu inszenieren, die für einen Teil der Bevölkerung längst im Zuge zivilisatorischen Fortschritts überlebt sind. Es ist selbstverständlich legitim, Modernisierung kritisch zu bewerten, moderat zu gestalten und dabei positive und wertvolle Aspekte des kulturellen Erbes bewahren zu wollen. Jedoch wird eine Stufe zu modernen Varianten von (rassistischer) Diskriminierung überschritten, wenn Kulturen, Religionen und „Identitäten“ pauschal als vererbbar, miteinander unvereinbar und unveränderlich konstruiert werden. Was Diskriminierung ist, wer davon in welcher Art betroffen ist, welche Folgen sie haben kann und wie Politik und Gesellschaft reagieren können, ist Gegenstand dieses Buches.