Die gesammelten Werke von Joseph Conrad

Latest release: May 9, 2024
Literary
Series
13
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About this ebook series

Conrads Geschichten der Unruhe (1898), seine erste Kurzgeschichtensammlung, vereint fünf Erzählungen voll psychologischer Beklemmung und kolonialer Desillusionierung. Die Stücke variieren stark im Setting – von malaiischem Dschungel bis europäischem Bürgermilieu –, doch eint sie das Interesse an gebrochenen Identitäten und der porösen Grenze zwischen Vernunft und Wahn. In Karain: Eine Erinnerung zerbricht ein malaiischer Krieger unter Schuldgewissenslast; seine Geistererscheinungen spiegeln Conrads Ambivalenz gegenüber imperialistischen Geistern. Die Idioten, eine düstere Ausnahme in der Bretagne, folgt einer Bäuerin, die nach der Geburt behinderter Kinder dem Wahnsinn verfällt – ihr Naturalismus kontrastiert mit der schwülen Resignation von Die Lagune, wo ein Mann im Sumpfgestank seinen Bruderverrat gesteht. Berüchtigt ist Eine Vorposten des Fortschritts: zwei unfähige Händler zerfallen an einer afrikanischen Station zu Kannibalen, ihr Kollaps eine Groteske „zivilisatorischer“ Rhetorik. Conrads Prosa schwankt hier zwischen lyrischem Symbolismus und brutaler Klarheit. Die Kraft der Sammlung liegt im Aushalten von Unbehagen – sie verweigert Lösungen für die moralischen Leerstellen, die sie aufreißt.

Diese moderne Ausgabe von Conrads Klassiker enthält ein aktuelles Nachwort, umfangreiches Begleitmaterial (Zeitleiste zu Conrads Leben und Werk, Figurenglossar, Diskussionsfragen) sowie einen behutsam redigierten Romantext, der veraltete Begriffe zugunsten besserer Lesbarkeit anpasst.

Dies sind Geschichten von Menschen, die sich in ihren eigenen Illusionen verfangen. Karain klammert sich an einen Abwehrzauber, doch die Vergangenheit ist alles, was Conrad ihnen lässt – seine Figuren kreisen ihre Traumata wie Motten um flackerndes Licht. Die Händler in Eine Vorposten bezwingen nicht die Wildnis; sie werden von ihr verdaut, ihr Überlegenheitsdünkel entblößt als larvenhafte Hilflosigkeit. Selbst in Die Rückkehr, wo ein Londoner die mögliche Untreue seiner Frau konfrontiert, liegt der Horror nicht im Betrug, sondern im Schweigen zweier Fremder. Conrads Schauplätze sind Komplizen des Kollapses: flussdicke Geheimnisse, stickige Räume. Die Lagune ist kein Ort, sondern ein Geisteszustand – stagnierend, fiebrig, schwer von ungeweintem Regen. Was diese Geschichten eint, ist keine Handlung, sondern eine Diagnose: der menschliche Drang nach Ordnung und Sinn ist Wahnsinn. Jede Figur baut ein Lügengerüst – über Liebe, Pflicht, Zivilisation –, und jedes Gerüst zersplittert. Kolonialismus ist hier nicht Politik, sondern ultimativer Ausdruck dieses Gerüsts. Als die Frau in Die Rückkehr endlich spricht, ändert es nichts. Als die Händler in Eine Vorposten sich verspeisen, bemerkt es niemand. Die Unruhe liegt nicht in den Ereignissen, sondern im Danach – im Umherschweifen durch die Ruinen der eigenen Gewissheiten.

In diesen Geschichten ist Unruhe nicht politisch oder geografisch, sondern innerlich: sie nagt am Gewissen von Männern, verstrickt in Angst, Ehrgeiz und Wahn. Eine Vorposten des Fortschritts (oft als Vorläufer von Herz der Finsternis gelesen) entlarvt Kolonialismus als Absurdität – zwei inkompetente Europäer zerfallen in den Tropen, besiegt nicht durch „Wilde“, sondern eigene Dummheit. In Karain wird die Erinnerung selbst zum Gespenst. Selbst wenn Handlung fehlt, pulsiert Conrads Sprache mit latenter Düsternis, als lauere unter imperialen Oberflächen moralischer Moder. Mit Geschichten der Unruhe beweist Conrad: Kürze braucht keine Simplizität, und die beunruhigendsten Reisen finden im Inneren statt.